Call Jane

Call Jane

Originaltitel: Call Jane
Genre: Drama
Regie: Phyllis Nagy
Hauptdarsteller: Elizabeth Banks
Laufzeit: DVD (117 Min) • BD (122 Min)
Label: Leonine
FSK 12

Call Jane   05.05.2023 von Dan DeMento

1968 - Diese Jahreszahl ist Synonym für eine ganze Bewegung von linksgerichteten Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen, deren Aktionen in ebendiesem Jahr ihren Höhepunkt fanden. Ging es hierzulande vor allem um eine konsequente Demokratisierung, waren in den USA die Themen der Vietnamkrieg und die Rechte der Frauen. Einen Aspekt dieser unruhigen Zeit beleuchtet jetzt Call Jane, der sich mit der gleichnamigen Hilfsorganisation beschäftigt. Ein Thema, das auch 55 Jahre später noch interessant ist? Lest selbst!
 
Inhalt:

Joy (Elizabeth Banks) ist jung, attraktiv, schwanger, Anwaltsgattin und dem Feminismus etwa so nah wie der Papst. Bis nach einer Ohnmacht ein Herzfehler bei ihr diagnostiziert wird und die niederschmetternde Aussage des Arztes lautet: Die Geburt ihres Babys wird sie nicht überleben. Doch Schwangerschaftsabbrüche sind im Jahr 1968 noch illegal, und so befindet sich Joy schnell auf einer Odyssee durch Ausnahmegremien, Psychologen und zwielichtige Hinterhof-Abtreibungskliniken. Schon am Rande des Aufgebens erfährt sie schließlich von der mysteriösen Organisation "Jane", geleitet von Virginia (Sigourney Weaver), die Frauen in ihrer Lage helfen will. Aufgerüttelt von diesen Erlebnissen und ihrer eigenen Machtlosigkeit beschließt sie, selbst etwas am System zu ändern. Auch sie wird zu einer "Jane". Doch je intensiver sie mitmischt, desto größer wird die Gefahr, aufzufliegen...
 
Die "68er", das ist mittlerweile ein fast schon romantischer Ausdruck und gleichzusetzen mit alten Hippies, die - gerne unter dem Einfluss bewusstseinserweiternder Substanzen - für ehrenhafte Werte kämpften. Dass uns 55 Jahre diese Bewegung so fern scheint, ist eigentlich verwunderlich, denn viele der damals angeprangerten Probleme gibt es entweder immer noch, oder schon wieder. Wieder ist Kapitalismus wichtiger als die Umwelt, wieder erstarkt der Faschismus in ganz Europa, wieder herrscht Krieg in unmittelbarer Nähe und auch mit den Rechten der Frau ist es noch nicht allzu weit her. Auch wenn Frauen inzwischen das Wahlrecht haben, ein eigenes Bankkonto besitzen dürfen und Abtreibungen zwar nicht beworben, aber doch immerhin durchgeführt werden dürfen, von einer Gleichberechtigung sind wir weit entfernt.
 
Und genau diesem letztgenannten Aspekt nimmt sich das Drama Call Jane von Regisseurin Phyllis Nagy an, die damit nach ihrem TV-Film Mrs. Harris – Mord in besten Kreisen ihr Leinwanddebüt gibt. Denn illegal ist illegal in den USA im Jahre 1968, und zwar egal ob minderjährige Schwangere, Vergewaltigungsopfer oder - wie im Fall der Hauptfigur - lebensbedrohliche Situation. Das ist heute anders, bleibt aber trotzdem nachvollziehbar, denn den besten Ruf hat eine Abtreibung auch heutzutage noch nicht, und diesbezügliche Diskussionen beherrschen noch immer regelmäßig die Medien. Zuletzt geschah dies im letzten Jahr um den berüchtigten § 219a StGB, der die "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" verbot, und der damals außer Kraft gesetzt wurde.
 
Dass das Thema von Call Jane also erstens wichtig und zweitens erschreckend aktuell ist, steht also außer Frage. Umso trauriger ist es, dass man sich nicht ein bisschen mehr Mühe dabei gegeben hat. Der Streifen ist dabei aber nicht durchwegs schlecht, es summieren sich vielmehr viele Kleinigkeiten, aber das in einem Ausmaß, das den Filmgenuss leider sehr schnell erheblich schmälert.
 
Das größte Problem - und leider auch das offensichtlichste - ist die Art der Erzählung. Die Story an sich basiert zwar nicht auf wahren Begebenheit, doch aber auf einer wahren Organisation, denn die "Janes" gab es tatsächlich und Virginia, die von Sigourney Weaver gespielt wird, ist von deren Gründerin Heather Booth stark inspiriert. Doch alles was darüber hinaus geht, trieft nur so vor Klischees. Und zwar nicht von der guten, nostalgischen Art Klischee, sondern so, als hätte eine 15jährige aufgeschrieben, wie sie sich die 70er vorstellt. Vom gemeinsamen Kiffen im Auto samt folgendem Burger-Fressflash bis zu einem Ehemann, der nicht mal weiß, wie man einen Backofen bedient, ist kein Gag zu flach, um ihn nicht irgendwie einzubauen.
 
Dazu kommt die Besetzung, denn auch wenn Elizabeth Banks mit Zack and Miri Make a Porno, den Tribute von Panem Filmen oder Was passiert, wenn’s passiert ist einige Erfolge vorzuweisen hat, als Meisterin des tragischen Schauspiels ist sie nicht gerade bekannt. Das funktioniert in der ersten Hälfte des Films, in der sie als unbedarfte Vorstadt-Ehefrau in die verwirrende Welt der Emanzipation stolpert, ganz gut, doch den Wechsel zur starken, selbstbewussten Frau nimmt man ihr leider nicht ab, so gerne man es täte. Da reicht auch Sigourney Weaver nicht, die als Hippie-Anführerin Virginia zwar überzeugt, den Karren aber alleine auch nicht aus dem Dreck ziehen kann. Größter Lichtblick in dieser doch klar von Frauen geführten Geschichte ist dann leider ausgerechnet ein Mann, nämlich Cory Michael Smith, der vor allem als Riddler aus der Serie Gotham bekannt sein dürfte. Doch auch der glänzt nicht durch sein großartiges Spiel, ganz im Gegenteil: Er spielt einen Abtreibungsarzt und man möchte ihm in jeder einzelnen Sekunde, in der er vorkommt, mit der Faust ins Gesicht schlagen. Da das aber zu seiner Rolle gehört, gebührt ihm in dieser Hinsicht wohl großes Lob.
 
Der mit Abstand größte Kritikpunkt liegt aber in der technischen Umsetzung, und das ist ein Punkt, den ich als alter Independent-Liebhaber gefühlt zum ersten Mal kritisiere. Alles in Call Jane schreit 70er, die Kleidung, die Frisuren, die Autos, die Art zu sprechen und jede Location. Das ist gut so, und dabei hätte man es problemlos belassen können. Was zur Hölle die Verantwortlichen dann bewogen hat, den Film später digital - denn es ist offensichtlich, dass nicht auf Film gedreht wurde - mit matschigen Farben und einem so aufdringlichen Filmkorn, wie ich es noch in keinem noch so schlechten Instagram-Filter gesehen habe, zu segnen, wird wohl auf Ewig ein Geheimnis bleiben. Tatsächlich gibt es immer wieder Momente, in denen das Filmkorn, das sich zu allem Überfluss gelegentlich ohne erkennbaren Grund wellenförmig bewegt, den Zuschauer so ablenkt, dass es ihn vollends aus der sowieso schon nicht gerade packenden Handlung reißt.
 
So tut es zum Abschluss fast weh, Call Jane nur jämmerliche 6 Punkte geben zu können, denn das Thema und auch die Geschichte an sich hätten mehr verdient. Doch der Film ist zu langsam, zu wenig differenziert, zu unmotiviert inszeniert und gespielt, um mehr vergeben zu können. Schade!
 

Bildergalerie von Call Jane (5 Bilder)

Details der Blu-ray:

Über das Bild wurde weiter oben alles gesagt. Das ist zwar klar als Stilmittel zu erkennen, macht eine neutrale Bewertung des Bildes aber schlicht unmöglich, denn es rauscht, krisselt und flackert wie auf einer schlecht gelagerten VHS-Kassette. Der Ton ist in Ordnung, das gilt für den O-Ton wie auch für die gut gemachte und mit den bekannten Stimmen umgesetzte Synchronfassung. Einziger Kritikpunkt ist der Soundtrack, der viel zu laut abgemischt ist, doch es ist zu vermuten, dass auch das eine Art Stilmittel darstellen soll. An Extras gibt es nur einige Trailer.


Cover & Bilder © LEONINE Distribution GmbH - Alle Rechte vorbehalten.


Das Fazit von: Dan DeMento

Dan DeMento

Call Jane könnte ein großartiger Film sein, wenn man sich nur ein bisschen mehr Mühe gegeben hätte. Das Thema ist wichtig, die Geschichte an sich ist interessant und mitreißend, doch an der Umsetzung hapert es an allen Ecken und Enden. Als Maßstab: Joy – Alles außer gewöhnlich mit Jennifer Lawrence ist stilistisch sehr ähnlich, handlungstechnisch nicht ein Zehntel so interessant und trotzdem der um Längen bessere Film. Trotzdem ist Call Jane nicht abschließend "schlecht", und Interessierte tun trotz aller Kritik gut daran, einen Blick darauf zu werfen. Der Unmut entsteht hauptsächlich dadurch, dass er jetzt ganz okay ist, aber problemlos fantastisch sein könnte, hätte man sich mit Drehbuch, Besetzung und Inszenierung ein klein wenig mehr Mühe gegeben - und dieses verdammte Filmkorn weggelassen.


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