Mittagsstunde

Mittagsstunde

Originaltitel: Mittagsstunde
Genre: Tragikomödie
Regie: Lars Jessen
Hauptdarsteller: Charly Hübner
Laufzeit: DVD (93 Min) • BD (97 Min)
Label: Majestic
FSK 12

Mittagsstunde   01.04.2023 von Dan DeMento

Das geniale Duo aus Regisseur Lars Jessen und Hauptdarsteller Charly Hübner ist wieder da! Nach Für immer Sommer 90 und der Heinz Strunk Verfilmung Jürgen - Heute wird gelebt wagten sich die beiden diesmal an die Verfilmung eines Bestsellers - der Tragikomödie Mittagsstunde von Dörte Hansen. Wir haben uns diesen Film, der so norddeutsch ist, dass es sogar eine plattdeutsche Fassung gibt, angesehen und sagen euch, ob sich ein Ausflug nach Brinkebüll lohnt.
 
Inhalt:
 
Ingwer Feddersen (Charly Hübner) ist über 50, Professor für Geologie, der passivste Teil einer Späthippie-Dreiecksbeziehung und nicht gerade extrovertiert. Eine seiner ersten wirklichen eigenen Entscheidungen trifft er, als er beschließt, sich ein Jahr Auszeit zu gönnen, um seine Eltern in seinem nordfriesischen Heimatdorf Brinkebüll zu pflegen. Dort beobachtet er nicht nur den Verfall seiner schwer dementen Mutter (Hildesgard Schmahl) und seines mürrischen Vaters (Peter Franke), sowie seines in den 70ern zwangsmodernisierten Dorfs, sondern auch die undurchsichtigen Verstrickungen seiner eigenen Biografie und das Verschwinden seiner Schwester Marret (Gro Swantje Kohlhof) werden ihm immer bewusster...
 
Der Verfasser dieser Zeilen lebt am untersten Ende Niederbayerns, es ist also vermutlich innerhalb Deutschlands nicht möglich, weiter von dem - zwar fiktiven, aber lokal doch klar verorteten - Dörfchen Brinkebüll entfernt zu sein. Trotzdem gibt es mehr, das verbindet, als trennt. Das gilt für die Flurbereinigung in den 70er Jahren und den oft zweifelhaften Umgang mit dem eigenen Erbe und dem zwanghaften Pochen auf Modernisierung, vor allem aber für die Mentalität der jeweiligen Einwohner. Ein "Moin" ist Gespräch genug und in einem Blick liegt manchmal mehr als in einer Stunde Gespräch.
 
Und einer der Meister solcher Blicke ist Charly Hübner. Bekannt vor allem als Alexander Bukow in Polizeiruf 110 oder als Anke Engelkes Partner in Ladykracher, war er aber auch schon in unzähligen TV- und Kinofilmen zu sehen, wenn auch meist in Nebenrollen. Dass er auch problemlos eine Hauptrolle tragen kann, beweist er jetzt in Mittagsstunde mehr als eindrucksvoll.
 
Denn so richtig viel hat Hauptrolle Ingwer Feddersen eigentlich gar nicht zu tun. Er ist introvertiert, fast schon passiv, sieht den Dingen zu, die um ihn herum geschehen und versucht mal mehr, mal weniger erfolgreich, sie zu verstehen. "Och Mudder, das' aber auch n Kuddelmuddel mit uns." Dieser kleine Satz fasst die Handlung von Mittagsstunde erstaunlich effektiv zusammen. Denn obwohl es keinen Plot im klassischen Sinne gibt - Mann in mittleren Jahren kümmert sich um seine alternden Eltern - passiert doch so einiges. Das meiste davon wird in Rückblenden in die 70er Jahre erzählt und dreht sich hauptsächlich um Ingwers Schwester Marret, die sich - Achtung Spoiler - als seine echte Mutter herausstellt.
 
So stehen wir als Zuschauer neben Ingwer, verstehen, was er versteht und nehmen daran teil, wie er - mit über 50 - endlich seine Kindheit verstehen und verarbeiten kann. Darüber hinaus sehen wir die komplizierte Beziehung zu seinen Eltern, primär zu seinem mürrischen Vater, der ihm nie ganz verziehen hat, dass er in Kiel studieren wollte, anstatt die Gastwirtschaft zu übernehmen und die langsame Annäherung der beiden.
 
All das klingt fürchterlich tragisch und schwermütig - und das ist es grundsätzlich auch. Wäre da nicht die Skurrilität der Figuren, die Dialoge und einfach der typische norddeutsche Charme, der vielen Themen gerne die Härte nimmt, was ja auch Formate wie Der Tatortreiniger eindrucksvoll bewiesen haben. Trotzdem hat auch Mittagsstunde seine Momente, die einen tief treffen, und zwar gerade deswegen, weil sie oft so unerwartet kommen.
 
All das, zusammen mit dem durchgängig überzeugenden Spiel wirklich sämtlicher Darsteller bis hin zu kleinsten Nebenrolle und der ruhigen, aber trotzdem eindringlichen Inszenierung von Regisseur Lars Jessen macht Mittagsstunde zu einer kleinen Sensation und einem weiteren Highlight im Katalog von Majestic, der auch in zwanzig Jahren noch genauso gut funktionieren wird. Eine klare Empfehlung!
 

Bildergalerie von Mittagsstunde (5 Bilder)

Details der Blu-ray:
 
Mittagsstunde ist kein Action-Kracher, deswegen bietet sich gar nicht viel Spielraum für bombastische Bild- und Ton-Effekte. Umso wichtiger ist es, dass die kleinen Momente überzeugen. Und das tun sie. Das Bild ist natürlich, der leichte tonale Unterschied in den Rückblenden kommt gut zur Geltung und auch aus den Boxen kommt ein durchgehend solider, klarer Ton. Ein kleines Highlight ist die Plattdeutsche Fassung, die nicht etwa synchronisiert, sondern separat gedreht wurde und ebenfalls auf der Scheibe enthalten ist. An Extras gibt es einige Interviews mit Charly Hübner, Regisseur Lars Jessen und Dörte Hansen, der Autorin der Romanvorlage, sowie Trailer.


Cover & Bilder © Majestic / Christine Schroeder


Das Fazit von: Dan DeMento

Dan DeMento

Wenn man - wie ich - gerne komplett unvoreingenommen in einen Film startet, also auch ohne viel von der Handlung zu wissen, und auch die Romanvorlage nicht kennt, dürfte man in den ersten Momenten mit einer typischen norddeutschen Komödie rechnen. Doch Mittagsstunde ist so viel mehr - wir bekommen gleich zwei Familiengeschichten, wir bekommen einen Mann mittleren Alters, der sich selbst findet, und all das ohne Moralkeule und erhobenen Zeigefinger. Vor allem aber bekommen wir eine durchgehend hochmotivierte und hochtalentierte Besetzung und eine Aura, die den Zuschauer auch lange nach Ende des Films nicht mehr loslässt. Für mich schon jetzt eines der Highlights des Kinojahres.


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